Das mache ich sehr gerne, da Taizé für mich seit meinem 17. Lebensjahr einen magischer Ort darstellt. Taizé ist aber viel mehr als ein Ort. Vielleicht kennt man die sich wiederholenden Gesänge von Taizé. Wer aber schon einmal vor Ort war, kennt die Magie und weiss, dass es fast nicht möglich ist, Taizé zu beschreiben. Was ist denn Taizé überhaupt? Es ist ein kleiner Ort im Burgund, nördlich von Lyon. Hier gründete Frère Roger nach dem 2. Weltkrieg eine ökumenische Brüdergemeinschaft, die sich der Versöhnung zwischen den Völkern und Kirchen einsetzt. Von Anfang an strahlt diese Gemeinschaft eine grosse Anziehungskraft auf junge Menschen aus der ganzen Welt aus. Die Communauté umfasst heute etwa 90 Brüder aus rund 20 Ländern. Jedes Jahr reisen tausende Menschen, vor allem Jugendliche, nach Taizé, um eine Woche gemeinsam mit den Brüdern zu beten und zu singen. Ein paar Tage zur Ruhe zu kommen und auf das eigene Herz hören, über Gott und die Welt diskutieren und zusammen den einfachen Lebensstil teilen.
Wer in Taizé ankommt, wird von den Volunteers, freiwillige junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren, freundlich begrüsst und ins einfache Leben von Taizé eingeführt. Ein Tagesablauf in Taizé geht seit Jahrzehnten gleich vor sich. Man trifft sich 3 x täglich (am Morgen, am Mittag und am Abend) zum Gebet in der Versöhnungskirche, welche man sich wie eine Mehrfachturnhalle vorstellen kann. Je nach Anzahl Besucher kann die Grösse der Kirche angepasst werden. Die Versöhnungskirche strahlt eine besondere Ruhe aus, ist dezent ausgestattet mit orthodoxen Ikonen, im Altarraum sind einige Kerzen am Brennen, alle sitzen am Boden und schauen in die gleiche Richtung, richten sich aus auf das, was alle christlichen Kirchen eint, Christus. Freundliche Farben nehmen das karge Licht auf, welches durch die hochgelegenen Fenster einfällt. Im Gebet werden keine grossen Worte gemacht, man hört eine kurze Passage aus dem Evangelium. Während den Gesängen und während der ca. sieben Minuten lang dauernden Stille fühlt man sich in der Gemeinschaft aller Anwesenden geborgen. Am Morgen treffen sich die jungen Menschen in grossen Zelten, wo jeweils ein Bruder der Communauté eine altersgerechte Einführung zu einem biblischen Text hält. Danach ist man mit einer einfachen, schriftlichen Anleitung in einer Kleingruppe am Thema des biblischen Texts unterwegs. Jede Gruppe ist frei, wie lange sie am Diskutieren ist, auf jeden Fall dürfen Klatsch- Fang- oder ein anderes Bewegungsspiel nicht fehlen. Diese schaut man von denjenigen ab, welche schon ein paar Mal in Taizé gewesen sind. Jeder Gast trägt seinen Beitrag zur Gemeinschaft bei, sei es bei der Essensausgabe, beim Abwasch oder dem Reinigen der sanitären Anlagen. Fürs Essen steht man in Kolonnen an. Gegessen wird am Boden, weil es nur wenig Bänke und keine Tische hat. Geschlafen wird in einfachen 6 – 8 Baracken und Privatsphäre gibt es kaum, sei es man geht zur Source (Quelle), ein besinnlicher Ort mit Weiher und Wald. Dreimal am Tag öffnet für je eine Stunde das Oyak, eine Art Kiosk, wo am Abend in Lagerfeuermanier Lieder gesungen werden oder Bewegungsspiele gespielt werden. In Taizé ist es selbstverständlich, dass man sich anspricht und sofort in (tiefgründigen) Gesprächen landet. Alle sind sich gleich, man sieht einander weder Herkunft noch finanzielle Möglichkeiten an. Taizé ist eine Oase, in welcher sich Jung und Alt weit vom Alltag entfernt fühlen. Es ist nicht möglich «Mitglied» zu werden, jede und jeder ist willkommen in Freiheit ohne Zwang. Wenn man wieder geht, wird nichts abverlangt. Der Wunsch von den Brüdern aber besteht, dass die Erfahrung in Taizé zuhause weiterlebt werden darf.
Warum erzähle ich so ausführlich über diesen Ort? Mit meiner nicht annähernd vollständigen Beschreibung, was Taizé ausmacht, möchte ich die oben erwähnte Magie beschreiben. Im Zentrum steht die Gemeinschaft, die Einfachheit (bezogen aufs Wohnen und auch den Umgang), die Begegnung, der Austausch, die gegenseitige Akzeptanz, die Suche nach Verständigung und Verständnis und letztlich in all dem die Versöhnung. Es ist unendlich bereichernd, wenn ein junger Mensch ohne Zwang eine solche Erfahrung von der Kirche machen darf. Das ist unser Antrieb, jedes Jahr zwei Reisen, eine über Auffahrt, die andere in den Sommerferien, für junge Menschen zu organisieren.
Unsere heutige Zeit überfordert viele Menschen, besonders Jugendliche und junge Menschen. Kriege, Ungerechtigkeit, Polarisierung, der bevorstehende Klimakollaps, Fake News, die allgemeine Beschleunigung des Lebens, privater und beruflicher Druck alles im Griff zu haben und sein cooles Leben auf Insta oder TikTok darzustellen, all das überfordert oder macht gar Angst. Die Sehnsucht nach Frieden, Einfachheit, Halt, Geborgenheit und nach einer echten gelebten Gemeinschaft besteht und wächst.
Wenn wir zu den Anfängen von Taizé schauen, ist die Zeit vielleicht vergleichbar. Als Frère Roger, ein gebürtiger Schweizer, sich 1940 nach Frankreich aufmachte, wütete der zweite Weltkrieg in Europa. Sicher litt er unter dem Krieg und dem unendlichen, menschlichen Leid. Er spürte für sich, dass er Menschen, welche Schweres durchzumachen haben, helfen muss. Mit einem bescheidenen Darlehen kaufte er unweit der Demarkationslinie ein Haus in Taizé und beherbergte zusammen mit seiner Schwester Geneviève Flüchtlinge, auch Juden und Agnostiker. Aus Rücksicht auf sie betete und sang er im Wald oder in seinem Zimmer. 1942 kehrten die beiden vor ihrer drohenden Verhaftung zurück nach Genf, wo das gemeinsame Leben mit den ersten Brüdern begann. 1944 kehrte er mit seiner Schwester und den ersten Brüdern nach Taizé zurück. Alsbald wurden sie angefragt, ob sie Kriegswaisen aufnehmen könnten. Sonntags luden die Brüder auch deutsche Kriegsgefangene aus einem nahe gelegenen Lager zu sich ein. Diese Gefangenen betreuten sie liebevoll, obwohl sie um ihre «Schuld» wussten. Jahre später kehrten die Kinder der Gefangenen zu den Brüdern zurück, um sich bei ihnen für ihr Engagement zu bedanken und einige blieben an diesem Ort des Friedens.
Wenn man sich vorstellt, dass Frère Roger zu Beginn vertriebene Menschen, auch Juden ein Obdach bot und nach dem Krieg den Unterdrückern, den Kriegsgefangenen auf Augenhöhe begegnete, kann man erahnen, wie er in der Nachfolge Jesus verstand und in Liebe handelte. Seine Liebe und Offenheit waren von Beginn an etwas ganz Besonderes. Sein Charisma faszinierte junge Menschen und liess sie inspiriert in die Welt zurückkehren und für eine Verständigung und Versöhnung im eigenen Leben einzustehen.
So wurde Taizé und die Communauté im Laufe der 50er und 60er Jahre zu einem Zufluchtsort für junge Menschen, welche geprägt von der Nachkriegszeit unter dem steten Druck nach Leistung im Zusammenhang des Wiederaufbaus von Europa standen.
Frère Rogers Weg und Erkenntnis geht von einer inneren Versöhnung aus. Jesus hat durch sein Leben die Liebe Gottes zu ausnahmslos jedem Menschen verkündet und bezeugt. Frère Roger erkannte in jungen Jahren, dass Jesus der Gemeinschaft seiner Jünger den Auftrag anvertraut hatte, Zeugen dieser Liebe zu sein. Diese Gemeinschaft hat sich im Laufe der Jahrhunderte auseinandergelebt und es entstanden Spaltungen und Fraktionen, die sich gleichgültig oder gar feindselig gegenüberstehen. Er fragte sich deshalb, wie man sie wieder in Einklang mit ihrer Botschaft bringen kann. Er wusste, dass niemand alle theologischen und sonstigen Probleme allein lösen kann, die den Leib Christi, die Kirche, zerstückelt haben. Gleichzeitig sah er angesichts der dringenden Notwendigkeit, das Evangelium weiter zu sagen, in Untätigkeit keine Lösung. So kam er zu dem Schluss: Beginnen wir bei uns selber und machen wir unsere Sicht der Kirche weit, indem wir uns den Gaben des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe öffnen, wie sie von Christen der jeweils anderen Traditionen gelebt werden.
Er suchte den Dialog, Austausch und die Beziehung zu allen christlichen Kirchen. Durch seine charismatische und liebevolle Art ist es ihm schon früh gelungen, dass sich kirchliche Oberhäupter begegneten und in einen echten Dialog traten, in welchem die Gemeinsamkeiten gesucht wurden und die Unterschiede gegenseitig liebevoll anerkannt wurden. So wurde Frère Roger und Taizé zum Sinnbild von gelebter Ökumene. Sein Leben widmete er dem Aufruf zur Versöhnung der Christen und Völker.
Schon von Beginn an war und ist es den Brüdern ein Anliegen, dass ein Mitleben in Taizé eine Relevanz für den Besucher haben soll. Der Besuch soll wenn möglich nicht einfach eine Reise ohne Nachhaltigkeit sein. Das nahmen die BesucherInnen ernst und so sind rund um die Welt Gebete mit Liedern aus Taizé entstanden oder auch die jährlich, über Silvester/ Neujahr stattfindenden europäischen Jugendtreffen.
Die Beziehung zur Schweiz war schon immer eine enge, da Frère Roger ja ein Schweizer war. Er besuchte mehrmals die Schweiz. Auch seinem Nachfolger, Frère Alois, ist die Beziehung zur Taizé-Bewegung ein grosses Anliegen und so fand im Jahr 2017 das europäische Jugendtreffen in Basel statt.
Vor rund 46 Jahren entstand z.B. in der Krypta des Grossmünsters Zürich ein ökumenisches Abendgebet mit Liedern aus Taizé, welches bis heute jeden Freitagabend um 19 Uhr die Anliegen nach Versöhnung und Frieden einschliessen. Dieses Gebet wurde von «Rückkehrern» aus der Sehnsucht nach Gemeinschaft und der Magie von Taizé ins Leben gerufen. Das Gebet ist ein Anker, hat Beständigkeit und gibt Halt. In all den Jahren fand es ununterbrochen statt, was gar nicht selbstverständlich ist. Einige von den Ersten sind zwar im Hintergrund bis heute ein Teil des Organisationsteams. Dieses Team ermöglicht Menschen ein Angebot hier in der Schweiz, welches spontan genutzt werden kann, ganz frei von Zwang oder Mitgliedschaft. Alle sind eingeladen. Ohne ihr inneres Feuer und ihre Sehnsucht nach Versöhnung und Gemeinschaft wäre es in Zürich nicht zu finden. Gerade solche Orte sind für unsere Gesellschaft von Bedeutung und absolut zentral.
Mit 17 Jahren durfte ich Frère Roger, Taizé und die Communauté kennen lernen. In ihnen sah ich Vorbilder, welche sich für Frieden und Versöhnung einsetzen. Die Begegnungen haben mich geprägt und wer weiss, ob ich heute in der Kirche arbeiten würde. Mein Wunsch für junge Menschen ist, dass auch sie wahrhafte Zeugen des Glaubens erleben dürfen, dass sie sich berühren lassen können durch Begegnungen und so zu sich selbst finden, ein Weg voller Versöhnung und Liebe.
Zu meiner Person
Mein Name ist Natascha Rüede, ich bin 51 Jahre alt und von Beruf Religionspädagogin. Ich arbeite seit rund 26 Jahren in der Pastoral für die Katholische Kirche in den unterschiedlichsten Settings. Lange Jahre war ich Jugendarbeiterin mit Leib und Seele. Seit 3 Jahren leite ich die Jugendseelsorge in Zürich. Wir sind die zentrale Dienststelle für Fragen der kirchlichen Jugendarbeit und Jugendseelsorge innerhalb der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Unsere Arbeit umfasst nicht nur die Vernetzung innerhalb des Kantons, sondern auch Lobbyarbeit über dessen Grenzen hinaus. Wir setzen uns dafür ein, dass junge Menschen die Unterstützung erhalten, die sie für ihre persönliche Entwicklung und Identitätsbildung brauchen. Das tun wir, indem wir uns für die verschiedensten kirchlichen Themen der Jugendarbeit engagieren wie Firmung, Ministrantenpastoral, offene kirchliche Jugendarbeit sowie Jugend-Spiritualität. Wir setzen uns ein, dass jungen Menschen Glaubenserfahrungen ermöglicht werden, die sie in ihrem Leben begleiten oder sogar prägen. Neben meinem Job bin ich verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern. In meiner Freizeit bin ich gerne in unserem Garten, bewirte Freunde oder entspanne in gemässigten Wanderungen oder Pilgerreisen rund um Assisi.