1. Tag – Die Reise beginnt
Gerade sind wir mit der Jugendseelsorge in ein neues Haus und ein neues Quartier umgezogen. Ich bin noch kaum angekommen und bereits geht’s wieder weiter für mich. Ich reise für ein paar Tage nach Israel und darf mit dem Verein Friedenslicht und dem ORF das Licht in Bethlehem entgegennehmen.
Meine Reise beginnt in Wipkingen per Zug, von dort aus geht es dann weiter mit dem Flugzeug nach Tel Aviv. Unterwegs schweife ich mit meinen Gedanken immer wieder ab und überlege mir, was es heisst, dass wir als Jugendseelsorge nun in ein neues Haus gezogen sind. Ich realisiere, dass in Zukunft die Jugendseelsorge wohl nicht mehr mit “Haus Auf der Mauer 13” identifiziert werden wird. Vielleicht wird sich der offizielle Name OMG! («Oh my God!») etablieren. Oder es wird sich ein anderer Name durchsetzen, z. B. Caritas-Haus oder Birmi, oder sonst ein eingängiger Name… Mit was wird man uns in Verbindung bringen? Jetzt ist noch alles offen. Das finde ich spannend, denn ich kann mir die Zukunft selber ausmalen, jedes Szenario könnte eintreten, ohne Einschränkung.
Doch diese Zukunft ist nun noch nicht. Zuerst reise ich heute also ins Heilige Land. Der Sehnsuchtsort so vieler Gläubiger – das Gelobte Land. Aber ist es das denn noch? Es scheint ein Land zu sein, wo Unruhe gegenüber dem Frieden dominiert. Seit jeher. Kann dieses Land das «Gelobte» sein? Und was ist es für mich? – Diese Frage zwingt mich dazu, einen Vorsatz zu fassen: Ich versuche offen zu sein, für die kleinen Geschenke, die mir zufallen auf dieser Reise, ohne Annahme und ohne Vorstellung. Einfach wahrnehmen, was ist und mich überraschen lassen.
Unser Guide Abraham, der uns von Tel Aviv aus abgeholt hat, beeindruckt mich sowohl mit seinem grossen und persönlich geprägten Wissen zum Land als auch mit seinem Humor. Gleich zu Beginn der Fahrt ins Hotel erwähnt er, dass wir auf einer Pilgerreise sind und wir somit mit einem Gebet beginnen können. Genau – wir sind auf einer Pilgerreise! Und mir wird bewusst, dass dies meine erste Pilgerreise in einer geführten Gruppe ist und ich mich dabei frage, inwieweit sich diese Reise von einer Touristenreise unterscheidet, ausser natürlich den eingefügten Gebetszeiten. Eine Teilnehmerin erhofft sich Heilung von ihren körperlichen Gebrechen. Ehrlich gesagt, habe ich mir bis jetzt keine Gedanken darüber gemacht, ob ich ein Anliegen für diese Reise habe. Vielleicht erhoffe ich mir, meinen Glauben neu zu entdecken. Oder möchte ich eine spezielle Gotteserfahrung machen? Oder habe ich nicht auch Angst davor? Ich möchte offenbleiben, auf das was sich mir zeigt…
2. Tag – Von der Verkündigung zur Gottesgeburt
Abrahams Herberge ist in den kommenden Tagen unser Zuhause. Das von den Lutheranern geführte Haus besitzt eine eigene Kirche, sowie einen eigenen Kaplan und befindet sich in Beit Jala (zu Deutsch: «Haus der Wellen», weil die Häuser von weitem wie eine Welle aussehen). Überraschend für mich ist, dass in Beit Jala ca. 80 % der Bevölkerung Christen sind – ein Dorf, das in einem palästinensischen Unabhängigkeitsgebiet mehrheitlich von arabischen Christen bewohnt wird! Auch das gibt’s im Gelobten Land. Wie im nahegelegten Bethlehem leben auch hier die meisten Menschen vom Tourismus und den Einnahmen durch die Pilger.
Wir brechen nach dem Frühstück auf und gehen weiter nach Bethlehem. Hier soll also Jesus Christus geboren worden sein. Ich bin gespannt, was mich erwartet, welche Energie mir begegnen wird. Doch zuerst geht’s zum sogenannten Hirtenfeld, einem von drei Orten, wo vermutet wird, dass hier der Engel den Hirten erschienen ist und ihnen die Geburt Christi verkündet hat. Während den Erzählungen unseres Tourguides Abraham wird mir wieder bewusst, wie revolutionär die biblischen Erzählungen doch sind. Nicht die religiöse oder die politische Elite, nicht weise Könige aus der Ferne oder irgendwelche Magier (das bibelgriechische Wort für die drei Könige ist «magoi»), auch nicht Astrologen oder spirituell Erleuchtete waren die ersten, die an dieser Gotteserfahrung im Gelobten Land teilhaben durften. – Nein, es waren die einfachen, armen und wohl stinkenden Hirten. Einfache Menschen als Erstadressaten der göttlichen Botschaft. Ich bemerkte, dass mich dieser Gedanke gleichzeitig beschämt und fasziniert. Er zwingt zur Demut. Nun, heute sieht man auf dem Hirtenfeld anstatt Hirten überall Gruppen, die oft mit Gottesdienst oder Gebet beschäftigt sind oder einfach Fotos machen.
Weiter geht die Reise zur Geburtsgrotte. Mir graut es, als ich die lange Menschenschlange sehe, die in die Kirche zur Grotte führt. Lohnt sich dieses stundenlange Anstehen für ein paar Minuten Begegnung mit einem ausgehöhlten Felsen? Ich hadere, nerve und langweile mich beim Warten und doch realisiere ich mehr und mehr… Es ist wie bei uns – die Geburt Gottes in mir passiert nicht auf Kommando und es ist auch nicht das Resultat einer Eigenleistung. Es ist vor allem eins: Warten. Stundenlang, tagelang,… vielleicht sogar jahrelang. Warten und dabei in kleinen Schritten dem entgegen gehen, was auf uns zukommen will und doch bereits schon in uns ist: Das göttliche Licht.
Dann endlich die Begegnung mit dem Ort der Geburt Christi. Kurz nur konnte ich mich hier niederlassen, denn zu viele wollten dasselbe tun. Dennoch meine ich, eine sehr spezielle Energie gespürt zu haben. Ein Kraftort, auf jeden Fall. Ich denke, es hat sich gelohnt, das Warten. Ich fühle mich motiviert, dem Warten auf die Gottesgeburt in mir mehr Sanftmut entgegen zu bringen.
Am Schluss musste ich unseren Guide noch mit der Frage konfrontieren, wie es den jetzt sei mit der historischen Echtheit des Ortes, schliesslich ist Bethlehem v. a. theologisch wichtig als Geburtsort Jesus, historisch kommt aber auch Nazareth in Frage. Wurde Jesus wirklich hier geboren, oder eben nicht? Ich musste feststellen, meine Frage einer Blasphemie glich, nur Ungläubige können eine solche Frage stellen. Ich liess dies auf sich beruhen. Bevor unsere Tagesreise zu Ende geht, sind wir noch durch die hübsche Altstadt von Bethlehem geschlendert, bis wir schliesslich wieder zur Herberge gebracht wurden.
3. Tag – Dem Heiligen begegnen
Unser Etappenziel heute ist der Sehnsuchtsort schlechthin: Jerusalem. Seit hunderten von Jahren kommen Menschen pilgernd, vertrauend und flehend hierher und hoffen, dass sich Gott ihnen wohlwollend zeigt. Eine Stadt aber auch, die wie kaum eine andere mit Krieg, Terror und Konflikt verbunden ist.
Bevor wir uns ins zehn Kilometer entlegene Jerusalem begeben (unglaublich, wie nahe alles hier ist!), statten wir dem Caritas-Kinderspital in Bethlehem einen kurzen Besuch ab. Das Spital, das einzige Kinderspital im palästinensischen Teil, wurde von Schweizern gegründet und steht darum in enger Verbundenheit mit der Schweizer Kirche. Das Spital wird zu mehr als 2/3 von Schweizer, deutschen und österreichischen Spendengeldern unterstützt. Täglich finden ca. 100 ambulante Besuche von besorgten Eltern statt, hinzu kommen noch die vielen stationären jungen Patienten. Seit Covid dürfen leider Besucher nicht mehr ins Spital seblst herein und so mussten wir uns selber mit unserer Vorstellungskraft ausmalen, wie es innen aussieht. Aber ich merke, dass ich mich glücklich fühle, dass unser Land ein solches Projekt trägt und unterstützt.
Und nun also die Stadt: Jerusalem. Bei der Ankunft werden wir herzlich von Stefanos Athanasios empfangen, einem griechisch-orthodoxen Priester, der in der Schweiz und Jerusalem lebt. Mit ihm bekommen wir eine Audienz beim Patriarchen von Jerusalem, Theophilos III., der uns viele interessante Information über die Geschichte der Kirche in Jerusalem mitteilt. Der Patriarch ist sozusagen der höchste Christ im Land und geht direkt zurück auf den ersten Bischof (Jakobus, der Herrenbruder). Beeindruckend, wie einfach es ist, dem Patriarchen von Jerusalem zu begegnen. Es war eine schöne Begegnung, die mit einem Schluck Likör endete.
Es folgt ein weiterer spiritueller Kraftort: die Grabeskirche. Auch hier ist es mir zu stressig, zu viele Leute, die kommen, um nur kurz zu beten oder die die Heiligen Stätten einfach nur berühren möchten. Bis jetzt war mir diese Art der Frömmigkeit eher fremd. Ich merke aber, der Einbezug des Körperlichen macht die Berührung mit dem Heiligen konkreter. Ich bin trotz allem fasziniert von diesem Ort. V. a. war mir auch nicht bewusst, dass Golgotha und das Grab Jesu so nahe beieinander liegen und das alles zusammen in einer Kirche ist. Es gehört zu den Spezialitäten von Jerusalem, dass alles Heilige und Konfliktreiche so nahe beieinander liegt. Wir haben Glück und mit Hilfe Stefanos’ müssen wir beim Grab nicht anstehen sondern können gleich rein. Was viele, die die Grabeskirche nicht kennen, überrascht, ist die Tatsache, dass jeder Millimeter der Kirche in die verschiedenen Konfessionen aufgeteilt ist. Nicht daran partizipieren dürfen die Lutheraner. Dafür haben sie gleich daneben eine eigene Kirche, deren Kirchturm höher ist als, derjenige der Grabeskirche.
Und dann kam der Regen… Nachdem Mittagessen giesst es wie aus Kübeln. Stephanos unser Begleiter, meinte, einen solchen Regen habe er noch nie in Jerusalem erlebt. Ein Zeichen, dass sich der Klimawandel auch Jerusalem bemerkbar macht? Oder Vorbote einer neuen messianischen Zeit? In Jerusalem ist es gestattet, allen Dingen eine spirituelle Bedeutung zu geben. Es fällt schwer, der Versuchung zu widerstehen, alles hier spirituell einzubetten. Wie auch immer, die Via Dolores danach war dann eher eine feuchte Angelegenheit. Der Regen führte dazu, dass wir etwas schnell durch den Kreuzweg durcheilten. Das war dann wiederum eher unspirituell. Beeindruckend fand ich das Grab Marias, das unterhalb des Löwentors in einer Kirche liegt (einer von zwei möglichen Orten). Vielleicht weil ich eine spezielle Beziehung zu Maria habe, oder weil der Ort wirklich ein Kraftort ist. Auf jeden Fall fühlte ich mich gestärkt nach dem Besuch der Grabeskirche Mariens.
Mein Fazit von heute: Guter Kaffee ist im gelobten Land schwer aufzutreiben und Jerusalem ist chaotisch, unberechenbar und anstrengend, dennoch gibt es immer wieder Orte und Momente, die mich kurz innehalten und das Heilige einatmen lassen.
4. Tag – Das Licht des Friedens
Heute ist der Tag – der Grund unserer Reise: Das Friedenslicht wird in der Geburtsgrotte empfangen. Auf der Fahrt dahin fällt uns auf, dass die meisten Läden geschlossen sind. Der Anlass ist verblüffend: Jedes Jahr am 15. November feiern die Palästinenser ihren Unabhängigkeitstag. Sie feiern einen historischen Tag, den es gar nicht gibt, da die Palästinenser offiziell noch keinen eigenen Staat haben. Ich staune ab dieser Zuversicht und Beharrlichkeit.
Wir kommen früh an und haben noch genug Zeit, um die Milchgrotte um die Ecke zu besichtigen. Diese Kirche ist gebaut worden, weil es eine Tradition gibt, die besagt, dass der Marmor von der Muttermilch Jesu weiss gefärbt wurde. Ein paar Tropfen fielen eben zu Boden und alles wurde weiss. Zumindest sehen wir in der Kirche eine ungewöhnliche Marienikone: Maria stillt Jesus mit nackter Brust. Ich frage mich, warum später die sakrale Malerei prüde geworden ist, scheinbar war sie nicht immer so.
Vor der Geburtskirche treffen wir auf die österreichische Delegation. Leute vom ORF, verschiedene Regierungsmitglieder, Presse, Pfadfinder und natürlich das Friedenslichtkind Sarah. Sarah wurde ausgewählt, weil sie sich schon in ihrem jungen Alter für ukrainische Flüchtlinge einsetzt. Freundlich werden wir von der Delegation wie ihresgleichen begrüsst. Wie in einer Prozession gehen wir alle gemeinsam durch die Kirche, an der wartenden Schlange vorbei und haben nun für die nächste halbe Stunde die Geburtsgrotte für uns alleine. Zwischen all den Kameras und eng zusammengepferchten Delegierten empfängt Sarah schliesslich vom orthodoxen Priester das Licht aus der Grotte. Jetzt geht das Friedenslicht in die Welt hinaus und kann offiziell am 11.12.2022 zu uns kommen. Während alle noch ein Foto mit dem Friedenslichtkind machen möchten, nutze ich den Moment und nehme mir diesmal ein paar Minuten mehr, um an der Geburtsstelle Jesu etwas zu meditieren. Sonst hat man höchsten ein paar Sekunden, da so viele Menschen anstehen. Ich bin dankbar diesen Moment zu haben.
In den christlichen Souvenirläden kann man viele orthodoxe Ikonen kaufen, die eine so andere Ästhetik haben, als unsere Heiligenbilder. Dass die traditionellen orthodoxen Ikonen auf uns ent-fremdend wirken, hat einen guten Grund. Wir im Westen sind uns gewohnt im Bild das Objekt zu betrachten. Im Osten betrachtet man das Subjekt, d. h. der Betrachter wird betrachtet. Spirituell gedeutet heisst das: Ich werde in der Ikone vom Dargestellten, also Gott angeschaut. Nicht ich betrachte Gott, sondern werde vom Ihm angeschaut und gesehen. Spannender Perspektivenwechsel!
Auf der Rückfahrt fällt mir auf, wie viele Banksy-Bilder man auf der Strasse sehen kann. Bethlehem ist ein richtiges Banksy-Mekka. Am Schluss des Tages habe ich noch eine weitere Erkenntnis: Der Kaffee ist gut, wenn man nicht die westliche, sondern die arabische Variante versucht…
5. Tag – Auf die andere Seite
Jallah! …ein arabisches Wort, das man auf Deutsch mit «Auf geht’s!» übersetzen kann. Mit diesem Wort treibt uns unsere Guide Abraham immer wieder an, weiter zu gehen. Unser Programm ist eng getaktet, viele Punkte in kurzer Zeit. Gleichwohl müssen wir täglich das Programm anpassen und ändern, das ist üblich hier. Abraham möchte, dass wir alle wichtigen Orte der Christenheit mitbekommen und dadurch unseren Glauben vertiefen können. Er führt uns daher straff. Dabei muss er mich mit meinem Bedürfnis nach individueller Selbsterforschung immer wieder in die Gruppe zurückholen. Dass wir nicht zu viel Zeit verlieren, ist aber nur ein Grund, wofür ich immer wieder zurückgepfiffen werde. Ich bekomme den Eindruck, es gibt noch einen anderen Grund. In diesem Land hat die Individualität nicht denselben Stellenwert, wie bei uns (vielleicht mit Ausnahme von Tel Aviv). Hier gehört man einer Gruppe an: Israeli, Palästinenser, Juden, Moslem, Katholiken, Orthodoxe usw. und befolgt deren Regeln. Mit meiner individuell geprägten Spiritualität wird man nicht wirklich wahrgenommen. Es hat keinen Platz dafür. Daher meine ich, dass Religion hier wichtiger ist als Spiritualität. Im Besten Fall fällt es zusammen. Bei uns läuft die Tendenz andersrum.
Wir ziehen weiter, verlassen Beit Jala und werden die nächsten drei Nächte auf dem Berg der Seligpreisungen am See Genezareth übernachten. Dem Jordan folgend, kommen wir an die Stelle, wo (mit grosser Wahrscheinlichkeit) Jesus getauft wurde. Das Gebiet bildet die Grenze zu Jordanien. Wir treffen einen kleinen, braunen Fluss an, kaum grösser als ein Bach. Es ist ein idyllischer Ort. Kaum vorstellbar, dass dies die Grenze zweier verfeindeter Nationen ist. In Israel sieht man sonst nur Mauern und bewaffnete Grenzposten. Hier hat laut der biblischen Überlieferung Gott Jesus zugerufen: «Du, bist mein geliebter Sohn!». Ich verstehe auch, warum an diesem Ort die Menschen bei der Taufe ganz untergetaucht wurden. Der Jordan ist nicht nur die Grenze zu Jordanien, sondern bildet nach biblischer Überlieferung die Grenze zum Gelobten Land. Hier sollen die Juden nach der Flucht von Ägypten über die Grenze zu ihrem Sehnsuchtsort gekommen sein. Wenn man also in der Taufe im Jordan untertaucht und wieder auftaucht, bedeutet das biblisch auch, dass man jetzt auf der anderen Seite, im Gelobten Land ist. Ich tauche in der Gefangenschaft unter und komme in Freiheit wieder raus. Genau das bedeutet die Taufe für die Christen. Politisch sieht es wohl anders aus. Inwieweit das Gebiet Israel/Palästina heute noch das Gelobte Land ist, muss wohl jede Reisende und jeder Pilger selber herausfinden und für sich klären.
In Taybeh kommen wir in ein biblisches Dorf, das fast vollständig christlich ist. Drei Konfession leben friedlich nebeneinander, ja feiern sogar gemeinsam Ostern, obwohl die Katholiken und die Orthodoxen unterschiedliche liturgische Kalender haben. – Eigentlich. Hier ist es anders. Der katholische Priester ist hier auch nicht nur für die Liturgie und Pfarreileitung zuständig, sondern sorgt sich stark um das soziale Leben der Einwohner im Dorf. Priestersein ist hier eine existentielle Aufgabe für das ganze Dorf. In Taybeh wird auch das einzige palästinensische Bier hergestellt. Es gibt sogar eine alkoholfreie Variante, die sehr süss ist, das diese aus Malz gewonnen wird. Passt eigentlich ganz gut, dass das einzige Bier hier gebraut wird, heisst doch der Ort Taybeh (deutsch: «schmackhaft»).
Mit einem Zwischenhalt am Mittag in Jericho gehen wir über die palästinensisch-israelische Grenze nach Galiläa auf den Berg der Seligpreisung. Ich erinnere mich an meine erste Israelreise vor ein paar Jahren: auf dem Berg der Seligpreisung hatte unser Auto einen platten Reifen. Bin gespannt welche Seligpreisungen mich diese Mal erwarten…
6. Tag – Das Leben feiern
Die erste Seligpreisung am frühen Morgen ist ein greller Sirenenton. Jemand hat zwischen 5 und 6 Uhr im Zimmer geraucht und dadurch den Feueralarm ausgelöst. Auf einmal waren wir alle wach. Wachsein, wird mir hier wieder bewusst, ist eine wichtige Haltung in der christlichen Tradition. Wachsein und nicht schlafen. So auch bei unserer nächsten Etappe auf dem Berg der Verklärung. Wachsein, wenn das Nicht-mögliche passiert. Wachsein, wenn Gott unerwartet in das Leben einbricht. Hier kurz der biblische Kontext zur Geschichte von Jesu Verklärung: Jesus ging mit drei Aposteln auf den Berg Tabor (wahrscheinlich) und wurde plötzlich verklärt, daneben sahen die Jünger den Propheten Elia und Mose links und rechts von Jesus. Eine Erscheinung, die die Jünger völlig überforderte. Sie beteten und dann auf einmal kommt diese Erscheinung. Schwierig nachzuvollziehen in unserer Zeit. Wie kann man diese Verklärung heute verstehen? Ist das eine Art Heiligung? Erleuchtung? «Jesus wurde verwandelt und war auf einmal leuchtend weiss», steht da. Ich stelle es mir ein bisschen wie Gandalf im Film «Herr der Ringe» vor – wie Gandalf der Graue zu Gandalf der Weisse wird. Vielleicht war es auch viel unspektakulärer und die Jünger hatten eine mystische Erfahrung, die sich nicht weltlich erklären lässt.
Der Berg der Verklärung ist ein kleiner Berg etwa 600 m.ü.M., von wo man eine hübsche Aussicht auf das Tal hat. Zuoberst steht eine grosse Kirche. Ein Verbotsschild am Eingang, weist u. a. daraufhin, dass man hier nicht heiraten darf… Ich frage mich, warum dieses Schild da ist. Für eine Hochzeit braucht man sowieso eine Bewilligung. Man geht ja nicht einfach heiraten, wie man mit einem Hund spazieren geht…
Jallah! Nazareth ist unser nächstes Ziel. Die Verkündigung des Engel Gabriel an Maria, sowie die Kinder -und Jugendzeit Jesu spielten sich hier ab. Nazareth ist heute mit ca. 80’000 Einwohnern die grösste Gemeinde mit arabischen Israelis in Israel. «Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?» fragt Nathanael in der biblischen Überlieferung, als ihm von Jesus aus Nazareth erzählt wurde. Ich finde die Stadt hat durchaus einige schöne Plätze und Gässchen, also durchaus etwas Gutes zu bieten, ist aber grundsätzlich nicht eine traumhaft schöne Stadt.
Während des Mittagessens werden wir wieder überrascht. Es kommt wieder die Flut und der Regen strömt aus allen Löchern, so fest, dass sogar die Tische im Restaurant nass werden. Nein, einen solchen Regen habe er auch nie in Nazareth erlebt, meint unser Begleiter Stefanos Atanasiou.
Nach der Besichtigung der beeindruckenden Verkündigungsbasilika, reisen wir weiter nach Kana, zur letzten Etappe unserer heutigen Reise. Vor der katholischen Kirche stehen viele Christen und Christinnen aus den Philippinen, die paarweise dastehen und alle in weiss gekleidet sind. Es wird uns gesagt, dass sie ihre Ehegelübde in der Kirche erneuern. Ist nachvollziehbar, da es die Stadt ist, in der Jesus Wasser in Wein verwandelt und damit eine Hochzeit gerettet hat. Natürlich kann man diese biblische Geschichte spirituell noch weiterführen. Sie ist aber auch einfach eine Ermutigung, das Leben zu feiern. Auch das ist Teil dieser Kultur. Zum Schluss lassen wir uns erzählen, wie die Situation auf Hochzeiten damals historisch gewesen war und enden unsere Tour mit einem guten Schluck süssem Wein aus Kana.
7. Tag – Das Glück
Der Berg der Seligpreisungen ist nach biblischer Überlieferung der Ort, wo Jesus zu der Menschenmenge gesprochen hat. Heute würde man sagen: Wo er seine berühmte Rede gehalten hat. Natürlich hat er noch andere Reden gehalten, aber diese wird wohl seine eindrücklichste gewesen sein, da diese in der Bibel sehr viel Raum einnimmt. Der genaue Ort der Rede war vermutlich nicht oben bei der Kirche, sondern unten neben der Strasse. Interessanterweise beschreiben Matthäus und Lukas verschiedene Orte. Lukas schreibt von einem Feld, während Matthäus von einem Berg berichtet. Wenn man am Ort selbst ist, fällt etwas Spezielles auf: Schaut man hinauf, sieht es aus wie auf einem Berg, schaut man hinunter, sieht es aus wie auf einem Feld (wenn man sich dabei die Kirchen wegdenkt). Meine persönliche theologische Deutung ist, dass Matthäus eher die Gottgleichheit Jesu betont (Berg) und Lukas eher die Menschennähe (Feld).
8. Tag – Zurück im Alltag
Das letzte Mal werde ich von den Sonnenstrahlen auf dem Berg der Seligpreisungen geweckt. Es ist der letzte Morgen unserer Pilgereise. Ich empfinde eine leichte Fröhlichkeit. Ich bin dankbar für die gemachten Erfahrungen. Aber auch die Vorfreude wieder nach Hause zurückzukehren, erfüllt mich. Nach dem Frühstück beenden wir die offizielle Pilgereise mit einem Gottesdienst, der sich Artoklasia nennt. Stefanos erklärt uns, das Artoklasia eine Segnungsfeier der alten Kirche ist, die früher vor der Eucharistie gefeiert wurde. Sozusagen ein gesegnetes Gemeinschaftsmahl. Mit der Zeit wurde sie dann weggelassen. Heute wird sie noch in der orthodoxen Kirche und manchmal bei ökumenischen Gottesdiensten eingesetzt, z.B. bei Kirchentagen. Ein würdiger Abschluss für unsere Reise. Danach geniesse ich es noch ein letztes Mal, einen stillen Moment für mich zu haben und den Ort in Ruhe zu geniessen.
Unterwegs halten wir in Cäsarea für das Mittagessen. Viele Menschen erfreuen sich an dem freien Tag am Strand. Am Schabat ist eigentlich alles geschlossen und Aktivitäten nicht erlaubt. Aber auch das ist Israel: Modern und säkular. Auf dieser Seite des Landes wirkt das Land wie eine typische Mittelmeerküste mit Badestränden und beinahe europäischen Städten. Die Gepäckkontrolle am Flughafen war weniger schlimm als befürchtet und wir flogen ohne weitere Überraschungen zurück in die Schweiz.
Was bleibt mir von der Reise? An diesen historischen Orten ist mir eines bewusst geworden: Jesu Art von Gott zu erzählen ist stark aus der Alltagserfahrung der Menschen im Lande geprägt. Seine Erzählungen sind keine abstrakten Theorien. Viele Details aus den biblischen Texten, die für uns fremd sind, machen Sinn, wenn man die Orte sieht. Die Geschichten gehen dann tiefer. Es ermutigt mich dazu, die Alltagsrealität meiner eigenen Kultur ernster zu nehmen und von da aus zu staunen, wie Gott wirkt. Die Erzählung von Gott darf nah und konkret werden. Auch ich lebe im „Gelobten Land“, nicht nur materiell, sondern auch spirituell. Die Erfahrung des Heiligen kann auch bei uns im Alltag gemacht werden. Die Art und Weise wie Jesus mit den Menschen umgegangen ist, ermutigt zu einer anderen Sichtweise: Meine Lebenserfahrung ist der Ort, wo das Heilige zu finden ist. Dafür brauche ich nicht die grosse Erleuchtung. Dafür muss ich auch nicht ins Heilige Land reisen. Aber mir hat es geholfen, dieses tiefer zu verstehen.